Freitag, 30. April 2010

Wohnen im Grossbeeren Kiez - bezahlbar oder Privileg

Kreuzberger Horn: Für uns ist die aufstrebende Mittellage der „Kategorie 2“, trotz  „Milieuschutz“,  eher bedrohlich.  Noch höher, aus unserer Sicht noch bedrohlicher, wird bereits jetzt  das „Entwicklungsgebiet Gleisdreieck“  mit Platz 44 eingeschätzt.  Haben wir, Mitglieder des „Kreuzberger Horn“ und der „AG Gleisdreieck“  etwas falsch gemacht? Ist „Wohnen am Park“ künftig nur noch für „Besserverdienende“ möglich? Haben sich einige von uns womöglich durch ihr Engagement für den Park selber aus dem Kiez verdrängt?
Franz Schulz: Also ich kann nicht nachvollziehen, warum für Baugebiete auf dem Gleisdreieck, die es noch gar nicht gibt, schon Einschätzungen gemacht werden, wo diese Gebiete im Ranking landen. Wir wissen doch noch nicht einmal, wie hoch der Anteil von Wohnen und nicht Wohnen sein wird. Zentrale Baufelder wie die  „Urbane Mitte“  werden als Kerngebiete ausgewiesen, da kann der Anteil an Wohnungen sowieso nur  20% betragen - häufig weniger im Verhältnis zu kerngebietstypischen Nutzungen durch Büros u. ä.
Kreuzberger Horn: Was ist mit dem benachbarten Baufeld „Möckernkiez“?
Franz Schulz: Wo sich auf dem Gleisdreieck etwas Konkreteres abzeichnet, ist das Baufeld „Möckern-/Yorckstraße“. Hier bewirbt sich die Genossenschaft „Möckernkiez“ um die Immobilie. Sie versuchen in Abhebung von anderer Baugruppen, dort einen Querschnitt von Haushalten mit unterschiedlichen Einkommen  unterzubringen. Sie verfolgen eine sozial sehr ausgeprägte Zielsetzung, während die meisten Baugruppen doch mehr geprägt sind von Besitz- und Bildungsbürgertum. Wobei es viele dieser Gruppen auch lieber hätten, wenn sie zu einem geringeren Preis  das Grundstück hätten erwerben können und nicht zu einem Höchstpreis, zu dem sie die Verkäufer gezwungen haben.  Mit einem reduzierten Grundstückspreis hätten sie auch einkommensschwächeren Haushalten etwas anbieten können. Das Areal am „Urban Krankenhaus“ ist dafür ein klassisches Beispiel. Der eh. Eigentümer „VIVANTES“ hat der dortigen Baugruppe das Grundstück nur zum Höchstpreis überlassen.  Wenn das passiert, dann kann die Baugruppe, auch wenn sie als Genossenschaft auftritt, keine Kostenmiete mehr erzeugen, die auch Wohnungen für Einkommensschwächere erlauben. Das ist ein großes Dilemma für Baugruppen mit sozialem Anspruch.
Kreuzberger Horn: Keine Frage, die Umsetzung dieses auch kiezorientierten Projekts durch die Genossenschaft   ist uns allemal lieber als eines dieser kiezfremden Developer-Projekte von der  VIVICO. Aber die  VIVICO wird für ihr Areal ebenso einen Höchstpreis erzielen wollen.  Auf der Veranstaltung im Januar forderten Sie für sozial orientierte Baugruppen reduzierte Preise für Landeseigene Grundstücke  oder eine Förderung der Baukosten analog dem eh. Landesprogramm für Selbsthilfeprojekte.
Franz Schulz: Es gibt zwei Grundsituationen. Die erste bezieht sich auf landeseigene Grundstücke. Davon werden vom Land einige für Baugruppen zu einem Festpreis vorgehalten. Meine Kritik daran: Die Anzahl der vorgehaltenen Grundstücke ist zu gering. In Friedrichshain-Kreuzberg z. B. sind es nur 3 Stück. Das entspricht überhaupt nicht der Nachfrage und verpufft ohne nennenswerte Effekte. Beim Festpreis handelt es sich um den aktuellen  Verkehrswert, der am Markt erzielbar ist. Baugruppen bleiben also nur  von Höchstbieter- bzw.  spekulativen Angebotsverfahren verschont. Aber wenn man  tatsächlich etwas mit sozialer Orientierung fördern will, dann müsste man um einen bestimmten Anteil, etwa 30 bis 40% vom Verkehrswert runtergehen und die Kaufpreisreduzierung mit der Auflage verbinden, dass auch Wohnungen preisgünstig für einkommensschwächere Haushalte mit angeboten werden.
Die zweite bezieht sich auf private Grundstücke. Da hat man wenig Einfluss darauf, wie die Privaten den Kaufpreis gestalten. Berlin könnte aber im Anschluss eine Förderung der Baukosten übernehmen, die den zweiten Faktor der Kostenmiete ausmachen. Die Höhe der Kostenmiete ist für eine sozialverträgliche Miete entscheidend. Da hatte  Berlin gute Erfahrungen gemacht mit seinem ehemaligen Selbsthilfeprogramm. Die Baukostenförderung lässt sich gut verbinden mit Auflagen der Preis- und Belegungsbindung, aber auch mit ökologischen Auflagen z. B. zur Energieeinsparung und Verringerung von Schadstoffemissionen. Damit ließe sich ein sozial und ökologisch wirksamer Steuerungseffekt initiieren. Das wäre ein sehr wichtiger Punkt, um negativen Entwicklungen in der gegenwärtigen Situation entgegenwirken zu können.
Kreuzberger Horn: Zurück zu unserem Kiez. Vor über 10 Jahren haben wir im Kiez auf Anwohnerversammlungen gegen hohe Modernisierungsumlagen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen den „Milieuschutz“ gefordert. Im Kreuzberger Horn (Nr.2) interviewten wir Sie bereits dazu.  Ihre ernüchternde  damalige und heutige Auffassung: der Bundesgesetzgeber hat dem kommunalen Instrument  des Milieuschutzes nach Bundebaugesetzbuch (§ 172 BauGB) die Zähne gezogen. Demnach sind z. B. mit Ausnahme von Luxusmodernisierungen, übliche Modernisierungsmaßnahmen mit zeitgemäßen Standards (IT, Bad, ZH, WD) nicht genehmigungspflichtig. Dennoch halten sie in Kreuzberg am Milieuschutz fest und werfen der Landespolitik vor, die Möglichkeiten des Milieuschutzes vor Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu verhindern.
Franz Schulz: Richtig. Bei der letzten Novellierung des BauGB hat der Gesetzgeber die Länder ermächtigt, in Milieuschutzgebieten für 10 Jahre die Umwandlung in Eigentumswohnungen ausschließen zu können. Damit würde zumindest für diese Zeitspanne ein Baustein, der für spekulative Käufe eine Rolle spielt, außer Kraft gesetzt. Das wäre ein Mittel gegen die so gängige spekulative Kaufstrategie: Haus kaufen, in Einzeleigentum aufteilen, Abgeschlossenheitsbescheinigung beantragen. Die kriegt man relativ einfach, weil die gesetzgeberischen Anforderungen dafür zu gering sind. Nach Grundbucheintragung werden die Eigentumswohnungen weiter verkauft.  In der Summe hat der Verkäufer das Doppelte von dem erzielt, was er als Kaufpreis hinterlegt hatte. Das ist ein lukratives Geschäft und Triebfeder für spekulative Häuseraufkäufe. Dem einen Riegel vorzuschieben, wenn auch nur für 10 Jahre, wäre ein wichtiger Beitrag zum Milieuschutz, den wir von Land Berlin einfordern.
Kreuzberger Horn: Hoffen wir, dass dies noch rechtzeitig geschieht, bevor es im unserem Milieuschutzgebiet dafür bereits zu spät ist. In den letzten 10 Jahren hat sich hier viel verändert, was die Entstehung einer guten sozialen Mischung von reich bis arm trotz Fluktuation immer wieder von neuem ermöglichte. Die  Aufnahmefähigkeit der Altbaustruktur bot lange Platz für den Nachzug unterschiedlicher sozialer Gruppen, auch weniger Betuchte. Diese Fähigkeit aber hat durch  Zusammenlegungen von Wohnungen und Aufteilungen in Einzeleigentum gelitten. Parallel hat sich das Mietgefüge verschoben  – für viele unbezahlbar hoch nach oben -  vor allem  durch Neuvermietungen. Dieser Prozess verläuft schleichend, nahezu lautlos.
Anders im engeren Verflechtungsbereich unseres Milieuschutzgebietes . Da wird offene Propaganda  für einen Prozess der Gentrifizierung  zugunsten von Besser- bis Gutverdienern betrieben. Die Werbesprüche  der Spekulanten klingen regelrecht nach einer feindlichen Übernahme der Häuser gegen ihre Bewohner -  so  in der Katzbachstraße 5 und 18, der Großbeerenstr. 55 durch „Trusthouse, Partner der ViktoriaGrundbesitz GmbH“. Die Immobilienfirma Taekker wirbt mit Ferienwohnungen am Fuße des Viktoriaparks. In Riehmers Hofgarten wird  „Wohnen auf Zeit“ bzw. „Boarding-House-Wohnen“ geboten. Der Schauspieler Quentin Tarantino war hier einer der berühmteren „Zeitmieter“ (s. Berichte im „Mieterecho“ Nr. 335, dem „Kreuzberger Horn“ Nr. 12 und der „Kreutzberger Chronik“ Nr. 112). Was kann man dagegen machen?
Franz Schulz: Vielleicht fangen wir mit „Riehmanns Hofgarten“ an. Dort ist ein Trend zur Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen oder „Boarding Houses“ zu beobachten. Ein Prozess der sich zwischenzeitlich in der Innenstadt signifikant ausbreitet. Leider hat uns im Sommer 2009 ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) überrascht. Bis dato gingen wir im Bezirk davon aus, dass die Umwandlungen einer Mietwohnung in den Nutzungstyp „Boarding House“ eine Umnutzung in Gewerberaum darstellt, die nach Baunutzungsverordnung (BauNVO) genehmigungsbedürftig ist. Das  Urteil des OVG jedoch stuft die Nutzung „Boarding House“ als Wohnungsnutzung ein. Damit entfällt der Genehmigungsvorbehalt und solche Prozesse sind der bezirklichen Kontrolle entzogen.
Kreuzberger Horn: Somit wird aus dem hotelähnlichen „Wohnen auf Zeit“ nur eine zulässige aber hochpreisigere Form der Neuvermietung von Wohnraum?
Franz Schulz: Eine rentablere Variante der Neuvermietung, die erkennbar nicht von kleinen sondern von den Großen Hauseigentümern genutzt wird. Boarding-House-Wohnen ist ein lukratives Geschäft, jedenfalls solange die Nachfrage anhält. Wir reden hier ja nicht nur von Quartieren, die in attraktiver Innenstadtnähe liegen sondern in Nähe der City-West  und der City-Ost. Hier funktioniert ein solch spekulatives Konzept von Umnutzung und Neuvermietung.
Generell zum Problem mit den miettreibenden Neuvermietungen. Wir haben im Gebiet fast nur Wohnungen in Privateigentum. Wenn man da Mieterhöhungen verhindern will, muss man den Blick auf das Mietrecht richten und das ist Bundesrecht. Dann sieht man, dass insbesondere mit Neuvermietungen das Mietniveau hochgetrieben wird.  Das wird flankiert von einem spezifischen Problem Berlins: Wegen eines  angeblich fehlenden Wohnungsnotstandes, greift  in Berlin das Wirtschaftsstrafrecht nicht. Das heißt, bei Neuvermietungen kann vom Vermieter jede Miete nach oben offen verlangt werden.  Er ist nicht gebunden an die Kappungsgrenze von 20% nach Wirtschaftsstrafrecht oder die Vergleichsmiete des Mietpreisspiegels. Deswegen fordere ich schon seit Langem: Berlin muss ran an eine Bundesratsinitiative, um Mieterhöhungsmöglichkeiten bei Neuvermietungen zu kappen. Ich fordere da, dass die Kappung sich orientieren muss am Mittelwert des Mietpreisspiegels. Ob  nun die Kappungsmiete  um 5-10%  darüber liegen darf, das muss eine vertiefte politische Diskussion klären. Nur, dass es zu einer deutlichen Kappung kommen muss, das halte ich für zwingend notwendig. Das machen alle Studien deutlich, Motor für Mieterhöhungen und Gentrifizierung  ist die Möglichkeit, bei Neuvermietungen nach oben offen zu zulangen. Deshalb muss Berlin dazu eine Bundesratsinitiative starten.
Kreuzberger Horn: Auf der Veranstaltung im Januar warf Reiner Wild vom Berliner Mieterverein den letzten zwei Landesregierungen vor, dass sie für diese Außensicht auf Berlin mitverantwortlich sind, wonach die Stadt im Vergleich zu anderen Ballungsräumen geradezu ein Mietenparadies mit hohen Leerständen und ohne Wohnungsnot ist.  Sie haben damit Reklame gemacht und dies als Standortvorteil angepriesen. Wird Berlin noch ernst genommen bei dem Versuch, auf Bundesebene Mietrechtsäderungen zur Bekämpfung Berliner Wohnungsnotstände  einzufordern?
Franz Schulz: Da hat Reiner Wild total Recht. Berlin ist stolz auf sein im Vergleich mit anderen Großstädten relativ niedriges Mietniveau und vergisst dabei, das das nur eine Seite der Medaille ist. Es vergisst  zu erwähnen, dass Berlin im Vergleich zu anderen Städten das Armenhaus Deutschlands ist. Nur das Verhältnis dieser beiden Größen lässt eine vernünftige Aussage zu der Frage zu, wie sehen die sozialen Auswirkungen bei den Mietern aus. Das diskutieren wir an Hand der Mietbelastungsquote. D.h. was bleibt  nach Abzug der Miete vom Haushaltseinkommen übrig.  Wenn das Einkommen sehr gering ist, wie in Berlin dann haben wir eine Mietbelastungsquote zwischen 40-45%, wenn ich die Warmmiete betrachte. Bei eh schon geringen Einkommen, bleibt zu wenig übrig für eine durchschnittliche Teilnahme am öffentlichen und sozialen Leben. Diese Mietbelastungsquote ist unbestritten in Berlin am Höchsten. Das ist die entscheidende Größe, die mietenpolitisch genutzt werden müsste in der  Auseinandersetzung mit anderen großen Städten und dem Bund.
Kreuzberger Horn: Auf der Veranstaltung im Januar verwiesen Sie auf die fatalen Folgen, die  vor 9 Jahren die Senats-Behauptung von 180.000 leerstehenden Wohnungen und die Verkündung  vom Ende der Wohnungsnot  auslöste. Damit hätte Berlin das „Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum“ verspielt – ein Mittel, um gegen Leerstände und Umwandlungen von Wohnraum vorzugehen.
Franz Schulz: Berlin beginnt heute zaghaft die damalige Feststellung eines riesigen Leerstandes zu revidieren. Der entscheidende Punkt aber ist, dass Berlin insgesamt in seiner Außenwerbung an der Behauptung festhält, wir hätten keinen Wohnungsnotstand. Dann aber gäbe es wirklich keinen Anlass und wäre auch rechtlich nicht möglich, so etwas wie die „Zweckentfremdungsverordnung“ wieder durchzusetzen. Gleichzeitig stellen wir aber fest, dass wir eigentlich keine größeren Leerstände mehr haben, wenn man baulich nicht bezugsfähige Wohnungen sowie die natürliche Fluktuationsrate von 3% u.Ä. abzieht. Daraus müsste Berlin die richtige Schlussfolgerung ziehen: Wir haben eine angespannte Wohnungslage und deshalb müssen wir die Zweckentfremdungsverordnung wieder einführen. Dann könnten wir vom Bezirk wieder jemanden, der seine Wohnung spekulativ leer stehen lässt, nach drei Monaten an die Beine packen. Wir hätten damit ein außerordentliches Steuerungsinstrument, um spekulativen Leerstand sowie Umwandlung von Wohnraum in Büroraum u. Ä. zu bekämpfen. Aber gegenwärtig ist überhaupt nicht erkennbar, dass der Senat eine in diese Richtung  offensive politische Argumentation aufgebaut. Im Gegenteil. Es wird stur weiter die These vertreten: `Wir haben keinen Wohnungsnotstand, 10.000e von Wohnungen stehen leer, wir haben keinen Anlass dagegen aktiv zu werden`.
Kreuzberger Horn: Wäre die Wiedereinführung der Zweckentfremdungsverordnung für den Bezirk auch ein Mittel, um  spekulative Leerstände, wie in Riehmers Hofgarten, frühzeitig und vorbeugend  identifizieren zu können?
Franz Schulz: Ja.
Kreuzberger Horn: Wenn man diese Prozesse der Luxusmodernisierung in der Katzbach- und Großbeerenstraße sowie in Riehmers Hofgarten betrachtet, beschleicht einem das Gefühl, dass in unserem Kiez bereits so etwas stattfindet, was André Holm auf der Veranstaltung im Januar als letzte Stufe der Gentrifizierung, als Super-Gentrifizierung bezeichnete. „Gated Communities“ entstehen, kreativen Elemente des Viertels schwinden. Mehr und mehr verkümmert der ehemalige Kiez  zu einer  kommunikationsarmen Zone Besserverdienender.
Franz Schulz: Ich glaube, diese Phasen, die André Holm vorgestellt hat, lassen sich in der Wirklichkeit nicht so scharf voneinander abtrennen. Es ist vielmehr ein schleichender  Prozess, in der die vorangegangene Phase noch die nächste überlagert  -  Phasen, die sich über Einzelobjekte lautlos beginnen zu entwickeln. Wobei auch nicht klar ist- ob sie sich voll entfalten oder durch irgendwelche Umstände dann wieder zum Stillstand kommen. Ob das, was er hier und dort als Supergentrifizierung bezeichnet, hier schon wirklich im Gange ist, daran habe ich meine Zweifel.
Das Gespräch führte Christian Schmidt-Hermsdorf