Eine krasse Ausprägung des ‘Gentrifizierungs’-Trends in der Großbeerenstraße
Grossbeerenstrasse 55 Kreuzberg |
(Aus dem Kreuzberger Horn Nr 14 Sommer 2010)
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‘Palais am Hofgarten’ soll das Gebäude Großbeerenstraße Nr. 55 heißen, wenn es fertig restauriert ist. Der Name stand über längere Zeit hinweg in großen Buchstaben auf einer riesigen Plane, die das gesamte Baugerüst vor der Fassade des Hauses bedeckte. Und nicht nur das. Da wurde weithin sichtbar für den Kauf von “luxuriösen“ und gar
-so wörtlich - “hochherrschaftlichen“ Wohnungen in diesem künftigen ‘Palais’ geworben. Die Anwohner gingen Monate lang vorbei und schienen sich nicht besonders daran zu stören. Manche erschienen allerdings etwas verdutzt, wie ich gelegentlichen Kommentaren entnahm, auch ein wenig belustigt - aber na ja, so läuft das hier in letzter Zeit nun mal, was kann man schon daran ändern.
Inzwischen sind das Baugerüst vorne und die Plane verschwunden, und es ist eine sehr schön restaurierte Stuckfassade hervorgetreten. Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben, zumal gerade dieses Haus direkt neben dem ‘Riehmers Hofgarten’-Komplex zur Straßenseite hin so herunter gekommen aussah wie wohl kein anderes in der ganzen Gegend. Die rohen Ziegelsteine blickten hindurch, der Stuck schien nur noch aus uralten schwarzen Resten zu bestehen - da war offensichtlich auch nicht das Nötigste mehr investiert worden.
Drinnen im Durchgang stehen zur Zeit, gegen Ende August 2010, noch die Baumaterialien herum, und es bewegen sich hier bislang keine ‘herrschaftlich’ aussehenden, sondern ganz gewöhnliche Menschen, Handwerker, Bauarbeiter, hindurch in den Hof, wo rechts und links an den Seitenflügeln noch bis oben hin die Gerüste stehen. Der Werbetext und die Abbildung der - hier leicht schlossähnlich verklärten - Fassade sind jetzt reduziert an der Eingangstür zu sehen. Ein Teil des Textes ist unten auf dem Foto wiedergegeben.
Im Internet werden die vorgesehenen luxuriösen Eigentumswohnungen in diesem Haus mit ähnlichen Worten angepriesen, und man versucht dabei ständig, den Bekanntheitsgrad des benachbarten ‘Riehmers Hofgarten’ zu nutzen. Es heißt dort (www.palais-am-hofgarten.de) u.a.: “Eine Stuckperle aus der Gründerzeit. Der architekto-
nisch einzigartige ‘Riehmers Hofgarten’ liegt in der Mitte Berlins. Im Ensemble dieses Schmuckstückes liegt der ‘Palais am Hofgarten’, ein herrschaftlicher Bau des Architekten J. Heydemann aus dem Jahr 1883.“ Auch hier taucht das Lieblingswort “herrschaftlich“ wieder auf. Es wird dann weiterhin angekündigt, dass der bisherige Hinterhof “gärtnerisch neu als Ziergarten mit Springbrunnen gestaltet wird.“ Die Miniausgabe eines fürstlichen Parks vielleicht?
Die geschäftstüchtige Berufung auf ‘Riehmers Hofgarten’ enthält trickreiche Verdrehungen. Das Haus Nr. 55 hat nie zum ‘Ensemble’ von ‘Riehmers Hofgarten’ gehört und ist auch völlig anderer Art. Auch das Wort ‘am Hofgarten’ weckt in diesem Falle falsche Assoziationen. Zwar war der Riehmers-Komplex im späten 19. Jahrhundert durchaus für gehobene Ansprüche vorgesehen, aber ‘Hofgarten’ wies keineswegs auf irgendetwas Höfisches hin. Gemeint war die Ersetzung finsterer Hinterhöfe durch einen weiten gartenartigen Hof, der nicht nur von der Straßenseite, sondern auch von hinten Licht in die Wohnungen herein ließ. Diese Struktur wurde damals und auch später als ein durchaus fortschrittliches Element gewürdigt. ‘Palais am Hofgarten’ weckt in dieser Verbindung und im Gesamtzusammenhang der Sprachgebung die Assoziation einer aristokratischen Atmosphäre, und das ist zweifellos so beabsichtigt. Spätestens hier wäre der Be-griff der ‘Gentrifizierung’ heranzuziehen, der seiner Her-
Das Haus Großbeerenstr. Nr. 55 hat eine neue Stuckfassade erhalten, die sich bereits als Vorzeigeobjekt eignet. Drinnen wird noch gebaut. Das Gebäude des ‘Riehmers Hofgarten’-Komplexes, das unmittelbar links davon zu sehen ist, überragt das Haus um ein Stockwerk, gehört also durchaus nicht zum gleichen ‘Ensemble’, wie in der Werbung für die Eigentumswohnungen suggeriert wird. Man schmückt sich mit einem berühmten Nachbarn.
kunft nach auf ein früheres feudales Klassensystem weist.
Bei Wikipedia lautet die Definition: “Die Gentrifizierung (von engl. Gentry, niederer Adel), teils auch Gentrifikation (von engl. Gentrification), umgangssprachlich auch “Yuppisierung“, ist ein in der Stadtgeographie verwendeter Begriff, der einen sozialen Umstrukturisierungsprozess eines Stadtteils beschreibt. Demnach führen der Zuzug neuer Bewohnerschaften sowie eine politisch gewünschte, gezielte Aufwertung eines Wohnumfeldes durch Restaurierungs- und Umbautätigkeiten zu einer Veränderung der bestehenden einkommensschwächeren Bevölkerungsstruktur.“
Auf den typischen Verlauf solcher Entwicklungen kann hier nicht eingegangen werden, und es geht hier ja auch zunächst nur um ein einzelnes Haus. Manche sagen, der Prozess ist in unserer Gegend allenfalls schleichend, und der Trend wird zur Zeit manchmal überbewertet. Das mag dahin gestellt sein, aber was in diesem Falle gewiss nicht überbewertet wird, das ist die Offenheit, mit der sprachlich auf aristokratische Herrschaftsphantasien gesetzt wird.
Die Verfasser und die kommerziellen Nutzer dieser Werbetexte würden vielleicht einwenden, dass es bei ‘hochherrschaftlich’ doch gar nicht um die umworbenen neuen Bewohner, sondern um den Verweis auf die Vergangenheit dieser Wohnungen gehe und das die Liebe zum historischen Ambiente angesprochen werde. Darauf muss die Rückfrage zum einen lauten:
Warum wird sprachlich so stark gerade auf diese ‘hochherrschaftliche’ Seite gesetzt? Welche (doch wohl absolut undemokratischen und unsozialen) Kaufgelüste will man unterschwellig anrühren? Zweitens aber auch: stimmt das historisch mit dem ‘hochherrschaftlich’ überhaupt? Ist das nicht eine Erfindung, die gegenwärtigen Marktinteressen entspricht?
Dieser Frage soll hier einmal ganz präzise nachgegangen werden anhand von alten Bauakten und Adressbüchern, die herangezogen wurden. Besitzer und Erbauer des Hauses war der zuvor in der Teltower Straße (heute Obentrautstraße) wohnende Maurermeister Julius Heydemann. Er hatte bereits in den 1870er Jahren eine Baugenehmigung für Schuppen und dgl. auf dem Grundstück beantragt. Das Haus selbst wurde dann, direkt neben dem Riehmers gehörigen Grundstücken, 1882 begonnen und im Sommer 1883 fertig gestellt.
Heydemanns Beruf wird in allen zeitgenössischen Dokumenten als ‘Maurermeister’ angegeben. Wenn in dem oben zitierten Werbetext von dem angeblich “herrschaftlichen Bau des Architekten J. Heydemann“ die Rede ist, dann klingt das sicherlich vornehmer, als wenn der Entwurf einem gewöhnlichen Maurermeister zugeschrieben wird. Diese Maurer waren damals in vielen Fällen - auch Riehmers war gelernter Maurer - Allround-Handwerker, die sowohl die Kelle in die Hand nahmen als auch die Entwürfe machten. Meistens waren die Baupläne auch nicht allzu kompliziert. Das Haus, um das es hier geht, war, anders als der Riehmers-Hofgarten-Komplex, durchaus ein Einheitsbau mit den üblichen ‘Berliner Zimmern’, dem nachträglich angekleisterten Stuck und dgl. und nicht etwa irgendeine architektonische Besonderheit, als welche sie in den Werbetexten der Tendenz nach dargestellt wird.
Und was hat es mit dem ‘Herrschaftlichen’ historisch auf sich? Wohnten in den Anfangsjahren lauter Aristokraten in dem Haus oder vielleicht auch überwiegend allerhöchste Militärs, Genera-le vielleicht? Die waren in dieser Kasernen- und Manövergegend bekanntlich recht zahlreich ansässig (aber wiederum auch nicht so massiert, wie oft kolportiert wird).
Auch in diesem Falle wollen wir wieder genau sein, und die Dokumentation mag zugleich von allgemeinerem historischen Interesse für unsere Leser sein. Das älteste zugängliche Berliner Adressbuch, das dieses Wohngebiet einschließt, stammt aus dem Jahre 1886, erschien also etwa zweieinhalb Jahre nach dem das hier interessierende Haus bezugsfertig war. Es kommt uns entgegen, dass damals die Berufe der Familienoberhäupter im Adressbuch mit angegeben wurden. Ebenso wurden die Eigentümer (unter dem Buchstaben E) mit Anschrift genannt. Die hier wiedergegebene Kopie daraus enthält die entsprechenden Angaben zu dem Haus Nr. 55 wie auch, weil es für Leser interessant sein mag, zu einigen Teilen von Riehmers Hofgarten.
Wir sehen also: Da gab es lauter offenbar gut situierte Familienväter: einen Bauinspektor, einen Steuerbeamten, einen Magistratsbuchhalter, einen Musiker und dgl. Aber würden wir auch nur einen davon mit ‘hochherrschaftlich’ assoziieren?
Auf die Art der Luxussanierung und des Umbaus soll hier nicht näher eingegangen werden, ein kleiner Eindruck sei aber doch gegeben, indem der obige Grundriss abgebildet wird. Jede Wohnung hat einen Namen bekommen. Gegen einige wird man nichts einwenden wollen - “Beethoven“ etwa oder “Fontane“, obgleich man sich sicherlich fragen kann, warum überhaupt solche anspruchsvollen Namen gegeben werden. In der überwiegenden Zahl der Namen klingt aber wieder deutlich dieser Herrschaftsaspekt mit - sie heißen etwa Metternich und Bismarck, Wilhelm I und Wilhelm II. Einfach die Berühmtheit macht es nicht. Eine Rosa-Luxemburg-Wohnung oder eine Rudi-Dutschke-Wohnung hätte man der anvisierten Kundschaft wohl kaum anbieten können.
Die Frage, ob und wieweit solche großzügigen Umwandlungen nicht auch als gelungen bezeichnet werden können, möchte ich hier nicht eingehen. Mir ging es besonders darum, die verwendete Sprache kritisch zu beleuchten, und die sollte nicht als Nebensache oder nur als ein Trick der Werbung abgetan werden. Sei zeigt uns, dass hier ganz konkret auf Kunden rekurriert wird, die solche Herrschaftsideen pflegen und eine Spaltung der Gesellschaft befürworten bzw. - sprich Gentrifizierung vorantreiben. Harz IV-Empfänger müssten aus solch einem ‘Wilhelm I’-Penthouse selbst bei großzügigstem Verhalten der Behörden auf der Stelle ausziehen.
Jürgen Enkemann