Sonntag, 5. September 2010

Ein höfisches Palais in Kreuzberg?

Wer will hier “hochherrschaftlich“ wohnen? -
Eine krasse Ausprägung des ‘Gentrifizierungs’-Trends in der Großbeerenstraße





Grossbeerenstrasse 55 Kreuzberg

(Aus dem Kreuzberger Horn  Nr 14 Sommer 2010)

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‘Palais am Hofgarten’ soll das Gebäude Großbeeren­straße Nr. 55 heißen, wenn es fertig restauriert ist. Der Name stand über längere Zeit hinweg in großen Buchstaben auf einer riesigen Plane, die das gesamte Baugerüst vor der Fassade des Hauses be­deckte. Und nicht nur das. Da wurde weithin sichtbar für den Kauf von “luxuriösen“ und gar
-so wörtlich - “hochherr­schaftlichen“ Wohnungen in diesem künftigen ‘Palais’ ge­worben. Die Anwohner gin­gen Monate lang vorbei und schienen sich nicht be­sonders daran zu stören. Manche erschienen aller­dings etwas verdutzt, wie ich gelegentlichen Kommentaren entnahm, auch ein wenig be­lustigt - aber na ja, so läuft das hier in letzter Zeit nun mal, was kann man schon daran ändern.
Inzwischen sind das Bau­gerüst vorne und die Plane verschwunden, und es ist eine sehr schön restaurierte Stuckfassade hervorgetreten. Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben, zumal gerade dieses Haus direkt neben dem ‘Riehmers Hof­garten’-Komplex zur Straßen­seite hin so herunter gekom­men aussah wie wohl kein an­deres in der ganzen Gegend. Die rohen Ziegelsteine blick­ten hindurch, der Stuck schien nur noch aus uralten schwarzen Resten zu beste­hen - da war offensichtlich auch nicht das Nötigste mehr investiert worden.
Drinnen im Durchgang ste­hen zur Zeit, gegen Ende Au­gust 2010, noch die Bauma­terialien herum, und es bewe­gen sich hier bislang keine ‘herrschaftlich’ aussehenden, sondern ganz gewöhnliche Menschen, Handwerker, Bauarbeiter, hindurch in den Hof, wo rechts und links an den Seitenflügeln noch bis oben hin die Gerüste stehen. Der Werbetext und die Abbil­dung der - hier leicht schloss­ähnlich verklärten - Fassade sind jetzt reduziert an der Ein­gangstür zu sehen. Ein Teil des Textes ist unten auf dem Foto wiedergegeben.


 Im Internet werden die vor­gesehenen luxuriösen Eigen­tumswohnungen in diesem Haus mit ähnlichen Worten angepriesen, und man ver­sucht dabei ständig, den Be­kanntheitsgrad des benach­barten ‘Riehmers Hofgarten’ zu nutzen. Es heißt dort (www.palais-am-hofgarten.de) u.a.: “Eine Stuckperle aus der Gründerzeit. Der architekto-
nisch einzigartige ‘Riehmers Hofgarten’ liegt in der Mitte Berlins. Im Ensemble dieses Schmuckstückes liegt der ‘Palais am Hofgarten’, ein herrschaftlicher Bau des Ar­chitekten J. Heydemann aus dem Jahr 1883.“ Auch hier taucht das Lieblingswort “herrschaftlich“ wieder auf. Es wird dann weiterhin ange­kündigt, dass der bisherige Hinterhof “gärtnerisch neu als Ziergarten mit Spring­brunnen gestaltet wird.“ Die Miniausgabe eines fürstli­chen Parks vielleicht?
Die geschäftstüchtige Be­rufung auf ‘Riehmers Hofgar­ten’ enthält trickreiche Ver­drehungen. Das Haus Nr. 55 hat nie zum ‘Ensemble’ von ‘Riehmers Hofgarten’ gehört und ist auch völlig anderer Art. Auch das Wort ‘am Hof­garten’ weckt in diesem Fal­le falsche Assoziationen. Zwar war der Riehmers-Komplex im späten 19. Jahr­hundert durchaus für geho­bene Ansprüche vorgese­hen, aber ‘Hofgarten’ wies keineswegs auf irgendetwas Höfisches hin. Gemeint war die Ersetzung finsterer Hin­terhöfe durch einen weiten gartenartigen Hof, der nicht nur von der Straßenseite, sondern auch von hinten Licht in die Wohnungen her­ein ließ. Diese Struktur wur­de damals und auch später als ein durchaus fortschrittli­ches Element gewürdigt. ‘Pa­lais am Hofgarten’ weckt in dieser Verbindung und im Gesamtzusammenhang der Sprachgebung die Assozia­tion einer aristokratischen Atmosphäre, und das ist zweifellos so beabsichtigt. Spätestens hier wäre der Be-griff der ‘Gentrifizierung’ her­anzuziehen, der seiner Her-



Das Haus Großbeerenstr. Nr. 55 hat eine neue Stuck­fassade erhalten, die sich bereits als Vorzeige­objekt eignet. Drinnen wird noch gebaut. Das Gebäude des ‘Riehmers Hofgarten’-Komplexes, das unmittelbar links davon zu sehen ist, überragt das Haus um ein Stockwerk, gehört also durchaus nicht zum gleichen ‘Ensemble’, wie in der Werbung für die Eigen­tumswohnungen suggeriert wird. Man schmückt sich mit einem berühmten Nachbarn.

kunft nach auf ein früheres feudales Klassensystem weist.
Bei Wikipedia lautet die Definition: “Die Gentrifizie­rung (von engl. Gentry, nie­derer Adel), teils auch Gen­trifikation (von engl. Gentrifi­cation), umgangssprachlich auch “Yuppisierung“, ist ein in der Stadtgeographie ver­wendeter Begriff, der einen sozialen Umstrukturisie­rungsprozess eines Stadt­teils beschreibt. Demnach führen der Zuzug neuer Be­wohnerschaften sowie eine politisch gewünschte, geziel­te Aufwertung eines Wohn­umfeldes durch Restaurie­rungs- und Umbautätigkeiten zu einer Veränderung der bestehenden einkommens­schwächeren Bevölkerungs­struktur.“
Auf den typischen Verlauf solcher Entwicklungen kann hier nicht eingegangen wer­den, und es geht hier ja auch zunächst nur um ein einzel­nes Haus. Manche sagen, der Prozess ist in unserer Gegend allenfalls schlei­chend, und der Trend wird zur Zeit manchmal überbewertet. Das mag dahin gestellt sein, aber was in diesem Falle ge­wiss nicht überbewertet wird, das ist die Offenheit, mit der sprachlich auf aristokratische Herrschaftsphantasien ge­setzt wird.
Die Verfasser und die kom­merziellen Nutzer dieser Wer­betexte würden vielleicht ein­wenden, dass es bei ‘hoch­herrschaftlich’ doch gar nicht um die umworbenen neuen Bewohner, sondern um den Verweis auf die Vergangen­heit dieser Wohnungen gehe und das die Liebe zum histo­rischen Ambiente angespro­chen werde. Darauf muss die Rückfrage zum einen lauten:

Warum wird sprachlich so stark gerade auf diese ‘hoch­herrschaftliche’ Seite ge­setzt? Welche (doch wohl ab­solut undemokratischen und unsozialen) Kaufgelüste will man unterschwellig anrüh­ren? Zweitens aber auch: stimmt das historisch mit dem ‘hochherrschaftlich’ überhaupt? Ist das nicht eine Erfindung, die gegenwärti­gen Marktinteressen ent­spricht?
Dieser Frage soll hier einmal ganz präzise nachge­gangen werden anhand von alten Bauakten und Adress­büchern, die herangezogen wurden. Besitzer und Erbau­er des Hauses war der zuvor in der Teltower Straße (heu­te Obentrautstraße) wohnen­de Maurermeister Julius Hey­demann. Er hatte bereits in den 1870er Jahren eine Bau­genehmigung für Schuppen und dgl. auf dem Grundstück beantragt. Das Haus selbst wurde dann, direkt neben dem Riehmers gehörigen Grundstücken, 1882 begon­nen und im Sommer 1883 fertig gestellt.
Heydemanns Beruf wird in allen zeitgenössischen Do­kumenten als ‘Maurermei­ster’ angegeben. Wenn in dem oben zitierten Werbe­text von dem angeblich “herrschaftlichen Bau des Ar­chitekten J. Heydemann“ die Rede ist, dann klingt das sicherlich vornehmer, als wenn der Entwurf einem ge­wöhnlichen Maurermeister zugeschrieben wird. Diese Maurer waren damals in vie­len Fällen - auch Riehmers war gelernter Maurer - All­round-Handwerker, die so­wohl die Kelle in die Hand nahmen als auch die Entwür­fe machten. Meistens waren die Baupläne auch nicht allzu kompliziert. Das Haus, um das es hier geht, war, anders als der Riehmers-Hofgarten-Komplex, durchaus ein Ein­heitsbau mit den üblichen ‘Berliner Zimmern’, dem nach­träglich angekleisterten Stuck und dgl. und nicht etwa ir­gendeine architektonische Besonderheit, als welche sie in den Werbetexten der Ten­denz nach dargestellt wird.


Und was hat es mit dem ‘Herrschaftlichen’ historisch auf sich? Wohnten in den An­fangsjahren lauter Aristokra­ten in dem Haus oder vielleicht auch überwiegend allerhöchste Militärs, Genera-le vielleicht? Die waren in die­ser Kasernen- und Manöver­gegend bekanntlich recht zahlreich ansässig (aber wiederum auch nicht so mas­siert, wie oft kolportiert wird).
Auch in diesem Falle wol­len wir wieder genau sein, und die Dokumentation mag zugleich von allgemeinerem historischen Interesse für un­sere Leser sein. Das älteste zugängliche Berliner Adress­buch, das dieses Wohngebiet einschließt, stammt aus dem Jahre 1886, erschien also etwa zweieinhalb Jahre nach dem das hier interessierende Haus bezugsfertig war. Es kommt uns entgegen, dass damals die Berufe der Famili­enoberhäupter im Adress­buch mit angegeben wurden. Ebenso wurden die Eigentü­mer (unter dem Buchstaben E) mit Anschrift genannt. Die hier wiedergegebene Kopie daraus enthält die entspre­chenden Angaben zu dem Haus Nr. 55 wie auch, weil es für Leser interessant sein mag, zu einigen Teilen von Riehmers Hofgarten.
Wir sehen also: Da gab es lauter offenbar gut situierte Familienväter: einen Bauin­spektor, einen Steuerbeam­ten, einen Magistratsbuchhalter, einen Musiker und dgl. Aber würden wir auch nur ei­nen davon mit ‘hochherr­schaftlich’ assoziieren?
Auf die Art der Luxussanie­rung und des Umbaus soll hier nicht näher eingegangen wer­den, ein kleiner Eindruck sei aber doch gegeben, indem der obige Grundriss abgebil­det wird. Jede Wohnung hat einen Namen bekommen. Gegen einige wird man nichts einwenden wollen - “Beetho­ven“ etwa oder “Fontane“, ob­gleich man sich sicherlich fra­gen kann, warum überhaupt solche anspruchsvollen Na­men gegeben werden. In der überwiegenden Zahl der Na­men klingt aber wieder deut­lich dieser Herrschaftsaspekt mit - sie heißen etwa Metter­nich und Bismarck, Wilhelm I und Wilhelm II. Einfach die Berühmtheit macht es nicht. Eine Rosa-Luxemburg-Woh­nung oder eine Rudi-Dutsch­ke-Wohnung hätte man der anvisierten Kundschaft wohl kaum anbieten können.
Die Frage, ob und wieweit solche großzügigen Um­wandlungen nicht auch als gelungen bezeichnet werden können, möchte ich hier nicht eingehen. Mir ging es be­sonders darum, die verwen­dete Sprache kritisch zu be­leuchten, und die sollte nicht als Nebensache oder nur als ein Trick der Werbung abge­tan werden. Sei zeigt uns, dass hier ganz konkret auf Kunden rekurriert wird, die solche Herrschaftsideen pfle­gen und eine Spaltung der Gesellschaft befürworten bzw. - sprich Gentrifizierung ­vorantreiben. Harz IV-Emp­fänger müssten aus solch ei­nem ‘Wilhelm I’-Penthouse selbst bei großzügigstem Ver­halten der Behörden auf der Stelle ausziehen.
Jürgen Enkemann